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Prof. Dr. Jan Steffen Jürgensen, medizinischer Leiter des Klinikums Stuttgart, spricht hier über die Herausforderungen, die die Pandemie für Baden-Württembergs größtes Krankenhaus mit sich brachte. In seinem Beitrag erinnert er sich, wie alles anfing, wie sich das Team darauf einstellte und was wir aus den Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre lernen können.

Ein Beitrag von Prof. Dr. med. Jan Steffen Jürgensen MPH MBA, Vorstandsvorsitzender Klinikum Stuttgart

Schon im Januar 2020, als absehbar war, dass COVID-19 zu einer weltweiten Bedrohung werden könnte, begannen wir am Klinikum Stuttgart mit den ersten organisatorischen Vorbereitungen. Wir aktualisierten die Krisenpläne, simulierten die Ankunft und den Massenanfall von Infizierten, stockten Vorräte persönlicher Schutzausrüstung auf, erprobten die Wiederaufbereitung potenziell knapper Einmalartikel, eröffneten Corona-Ambulanzen, richteten geschleuste Quarantäne-Stationen ein und begannen mit Intensivtrainings für anästhesiologisches Pflegepersonal.

Auch die Intensivkapazitäten wurden massiv erweitert. Dazu bauten wir zunächst die Raumlufttechnik der gesamten Intensivstation am Standort Bad Cannstatt um und richteten einen abgeschlossenen Verbindungstunnel zum Aufwachraum und zum OP-Saal ein. Der gesamte Bereich wurde als COVID-19-Station ausgewiesen.

Parallel dazu standen die Aufrüstung der Beatmungsgeräte und der Ausbau unserer ECMO-Kapazitäten. Vor der Pandemie gab es im Klinikum Stuttgart ca. 90 Intensivbeatmungsplätze. In schneller Folge wurde noch unter den Eindrücken aus Norditalien die Zahl massiv gesteigert: Zunächst wurden Transportbeatmungsgeräte, die primär für kurze Beatmungszeiten im Evakuierungsfall bereitstehen, technisch aufgerüstet. Beschaffungen für einen erst Ende 2021 fertiggestellten Neubau mit 40.000 qm und einer Intensivstation mit 63 Plätzen wurden sofort vorgezogen. Multifunktionale Narkosegeräte aus einem Teil der 50 OP-Säle wurden umgewidmet. Neuwertige, überarbeitete Geräte („refurbished“) gekauft und eine höhere Zahl über die Landesregierung Baden-Württembergs ins Klinikum verbracht. Mit entsprechender Erweiterung der Monitoranlagen, Einweisungen des Personals und Testläufen konnte die Beatmungskapazität durch diese Notfallreserve auf 325 Plätze gesteigert werden.

Durch die Etablierung der täglichen Belegungs- und Kapazitätszahlen des DIVI-Registers entstand eine neue Qualität der Transparenz und die Möglichkeit, regional in Clustern die Belegung zu steuern und Belastungsspitzen koordiniert abzufedern. So wurden beispielsweise im Winter 2020/2021 Patienten mit einem von der Firma Daimler zu einer Intensivtransporteinheit aufgerüsteten Bus, der bis zu vier beatmeten Patienten gleichzeitig Platz bietet, Übernahmen aus der Uniklinik Heidelberg nach Stuttgart realisiert.

Inzwischen (Mitte April 2022) ist die Zahl der Patienten stark rückläufig und im Klinikum Stuttgart auf unter 100 gesunken. Die Quote der durch Patienten mit COVID-19 belegten Intensivbetten in Baden-Württemberg ist von 30% in Spitzenzeiten auf aktuell 9% mit weiter fallender Tendenz gesunken.

Frau Dr. Beate Luz, Leiterin der Blutspende und des Instituts für Transfusionsmedizin des Klinikums Stuttgart, vor einer cobas 6800 Plattform

Noch im Februar 2020 wurden die ersten PCR-Tests am Klinikum etabliert und seither etwa 350.000 Analysen durchgeführt. So mussten die Proben nicht mehr – wie anfangs – zur Analyse in das Labor des Berliner Kollegen Christian Drosten geschickt werden, was für uns natürlich eine enorme Zeitersparnis bedeutete.

Um die hohen Testkapazitäten zu managen, verstärkten wir unser Laborteam deutlich, unter anderem durch Molekularpatholog:innen, Humangenetiker:innen und MTLAs aus anderen Abteilungen. In der Frühphase der Pandemie waren zahlreiche Lieferketten gestört und die Verfügbarkeit von Reagenzien knapp. Methodisch sind wir in dieser Phase zur Erhöhung der Ausfallsicherheit mehrgleisig gefahren und haben auch auf aufwendige manuelle Verfahren gesetzt. Ein hoher Automatisierungsgrad und eine Beschleunigung gelang mit der Nutzung des ertüchtigten cobas 6800 Systems, das vor der Pandemie vor allem zur Virusdiagnostik in unserem Institut für Transfusionstherapie im Einsatz war.

Anfang April führten wir verschieden PCR-Schnelltests ein, die das Testergebnis bereits nach 30 bis 45 Minuten lieferten. Später wurde die einfachen Schnelltest-PCR durch ein Multiplexverfahren zur Differentialdiagnostik von Atemwegsinfekten ergänzt. Heute sind geordnete Prozesse zur vorstationären Analyse für elektive Patienten und Point-of-Care-PCR-Schnelltests in den Notaufnahmen etabliert. Für die Erregerdiagnostik war die Pandemie eindeutig ein beschleunigender Faktor, der den Weg für flächendeckendes Screening und weitere Schnelltests auf nosokomiale Problemkeime gebahnt hat.

Auch andere kritische Infrastruktur musste ausgebaut werden, so zum Beispiel die Versorgung mit medizinischem Sauerstoff. Ursprünglich gab es am Klinikum ein Gasflaschenlager und Tanks für 33.000 Liter Flüssigsauerstoff. Ende März 2020 wurde ein zweites großes Lager fertiggestellt, in dem vor allem großvolumige Gasflaschen vorgehalten wurden, und die Befüllungsintervalle der zentralen Tanks deutlich enger gefasst.

Um die Belastbarkeit unserer Infrastruktur abzuklären, führten wir mehrere Stresstests durch; zum Beispiel wurde der zeitgleiche Betrieb von 38 Respiratoren auf voller Last mit reinem Sauerstoff allein im Quarantänebereich simuliert.

Ende des Jahres 2020 beschäftigte uns auch der Aufbau des Impfzentrums am Klinikum sowie mehrerer mobiler Impfteams, die Alten- und Pflegeheime besuchten. Am 27. Dezember durfte das Klinikum Stuttgart den Auftakt der Impfkampagne in Baden-Württemberg übernehmen. Es wurde als erste Person eine Pflegerin aus dem Isolationsbereich geimpft.

Im ersten Halbjahr 2021 hat das Klinikum Stuttgart in seinem zentralen Impfzentrum ca. 550.000 Impfungen durchgeführt und sich vor dem Hintergrund der stark rückläufigen Nachfrage im Sommer wieder auf die Kernaufgaben konzentriert. Mit steigenden Fallzahlen im Winter 2021 und Erweiterung der Zulassungen der Impfstoffe für Jüngere sowie die Empfehlungen zur Auffrischimpfung wurde die Entscheidung getroffen, kurzfristig nochmals einen Beitrag zur Impfkampagne zu leisten. Binnen weniger Tage wurde vom Klinikum Stuttgart ein stillgelegtes Kaufhaus in zentralster Lage angemietet und in Messebauweise zum Impfzentrum ausgebaut. Unter Berufung auf den Katastrophenfall gemäß Artikel 35 des Grundgesetzes wurde die Bundewehr zur Unterstützung der Logistik angefordert und hat im Team mit Beschäftigten des Klinikums binnen weniger Monate weitere 150.000 Impfungen realisiert. Heute führt das Klinikum Stuttgart unter dem eigenen Dach eine deutlich kleiner dimensionierte Impfambulanz fort, die in Abhängigkeit von der Nachfrage sehr flexibel skaliert werden kann. Der niederschwellige Zugang war sicherlich ein förderlicher Faktor für die Impfquote unter den ca. 8000 Beschäftigten des Klinikums Stuttgart, die bei gut 98% liegt.

Prävention geht vor Kuration! Das hat uns die Pandemie klar vor Augen geführt. Impfungen schützen vor schweren Verläufen, sind im hohen Maße kosteneffizient und reduzieren das Risiko von Langzeitfolgen wie Long Covid oder PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome) bei Kindern. Das gilt gleichermaßen für verhaltenspräventive Ansätze.

Und wir haben gelernt: Unsere Sicherheitsvorkehrungen, Notfallreserven und Vorräte sind berechtigt. Kritische Infrastruktur braucht Redundanzen und einen koordinierten Zugriff auf die Ressourcen. Meist sind jedoch nicht die Materialien und Geräte das Nadelöhr, sondern qualifiziertes Personal. Der Forschungs- und Gesundheitsstandort Deutschland ist relativ robust, aber wir müssen auch in Deutschland noch mehr in Bildung und Ausbildung investieren (und haben entsprechend 2020 die Zahl der Ausbildungsplätze in der Pflege auf über 1000 im Klinikum Stuttgart gesteigert).

Was wir noch gelernt haben: Alleine kann man keine Pandemie bewältigen. Sektor-übergreifende, interdisziplinäre und überregionale Kooperation ist gerade in Krisenzeiten enorm wichtig und auch die konzertierte Nutzung von Ressourcen ist essentiell. Belastungsspitzen können gemeinsam besser gemeistert werden. Und die individuelle Bevorratung, ganz gleich ob mit Reagenzien, essentiellen Medikamenten, Impfstoffen oder Klopapier, ist psychologisch nachvollziehbar, aber keine systematische Lösung.

Die Pandemie hat uns außerdem spüren lassen, dass der digitale Reifegrad der Gesundheitsbranche mehr als unbefriedigend ist. Noch immer gibt es Faxe in den Gesundheitsämtern, lückenhaftes Impfquotenmonitoring und Papierimpfpässe. Aber mit Blick auf IT-Tools wie Online-Videokonferenzen oder Tracing-Apps kann man sagen: auch hier ist glücklicherweise eine Entwicklung zu beobachten.

Last but not least: Geschwindigkeit zählt. Die gewinnt man mit guter Vorbereitung, gerade auch außerhalb der Krisenzeiten. SARS-CoV-2 war sicher nicht die letzte Pandemie. Und Omikron vermutlich nicht die letzte besorgniserregende Variante. Ein klarer Konsens zur Steigerung der Impfquote, insbesondere unter den Vulnerablen, erscheint zu wichtig, um parteipolitisch zerrieben zu werden.

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