“Da braucht man einen langen Atem”

Interview mit zwei Wissenschaftler:innen aus dem Bereich Antikörper-Design

Schnell wie noch nie werden neue Arzneimittel entwickelt, die besser als je zuvor gegen Erkrankungen helfen. Und teilweise sogar das Potenzial haben, Krebs zu heilen. Wer steckt eigentlich hinter diesen Durchbrüchen? Im Interview geben Dr. Christiane Neumann und Dr. Christian Klein, zwei herausragende Wissenschaftler:innen von Roche Pharma Research and Early Development (pRED), Einblicke in die faszinierende Welt der Wirkstoffentwicklung. Sie erzählen, was dazugehört, in der Industrie als Forscher:innen zu arbeiten und warum Scheitern für den Erfolg so wichtig ist.

Wie läuft die Entwicklung von der Idee zum Medikament?

Christiane: Ein Medikament zu entwickeln, das Patientinnen und Patienten helfen kann, das ist natürlich ein sehr, sehr motivierendes Ziel. Da muss man ganz grundsätzlich sagen: Das dauert auch wirklich sehr lange. Von der Idee bis zum Medikament vergehen leicht 10 Jahre. Insofern ist es natürlich gut, dass wir hier bei Roche stabile Rahmenbedingungen haben. Und das breite Portfolio hilft, neue Ansätze in verschiedenen Feldern auszuprobieren.

Christian: Alles in allem ist viel Erfolgsdruck, denn Drug Discovery ist wirklich ein sehr schwieriges Feld. Viele Kolleginnen und Kollegen in der Industrie haben 20 oder 30 Jahre gearbeitet und keinen einzigen Wirkstoff auf den Markt bekommen. Aber man kann eben auch ein bisschen mehr Glück haben…

Wie viele Versuche sind denn erfolgreich?

Christian: Eins ist ganz klar: Scheitern gehört dazu! Am Anfang gehen sehr viele Ideen ein. Von denen können nur manche erfolgreich weiterentwickelt werden. Aber auch davon kommen viele nicht sehr weit. Und dann: Nur rund jeder zehnte Versuch schafft es wirklich in die Klinik. Also zu einem ersten Test mit Patienten. Wenn es da positive Rückmeldungen von einem Arzt aus der Klinik gibt, dass also ein Patient von der Therapie profitiert, dann ist das schon extrem motivierend. Aber auch dann kann dort noch immer alles scheitern. Das kann schon frustrierend sein, da braucht man einen langen Atem!

Christiane: Wir haben hier bei uns immer mehrere Projekte. Im Zweifel muss man natürlich auch mal bereit sein loszulassen, auch wenn man schon sehr viel Zeit in so ein Projekt investiert hat. Letztlich bedeutet das meist ja auch keinen totalen Verlust, weil viel Wissen und Erfahrung auch für andere Bereiche wertvoll sein kann. Und dann hilft auch ein gescheitertes Projekt bei anderen laufenden Projekten. So werden wir Stück für Stück besser! Wir stehen aber gerade an der Schwelle zu einem neuen Kapitel: Gerade bei der Antikörperentwicklung arbeiten wir mit neuen Datenmodellen. Die Möglichkeiten sind natürlich groß, dass man mit den Daten, die man in einem einzigen Versuch generiert, wieder neue Informationen bekommt. Und damit bringen wir relativ schnell das Ganze wieder ins Labor. Und schon startet die nächste Runde, dass man das Molekül besser machen kann.

Wie steht es um die Entwicklung von Antikörpern?

Christian: Antikörper kommen ja ganz natürlich in unserem Körper vor. Und unsere künstlich hergestellten Antikörper werden in der Medizin schon seit 25 Jahren eingesetzt. Da haben wir gerade bei Roche also viel Bekanntes und große Erfahrung. Diese sogenannten monoklonalen Antikörper werden biotechnologisch aus einer einzigen ursprünglichen Zelle hergestellt und entstammen daher dem gleichen Klon. Die Herstellung ist sehr komplex, gerade wenn es um größere Mengen geht, weil sehr viele Faktoren beachtet werden müssen. Wir haben das bei Roche seit Jahrzehnten optimiert. Man könnte denken, dass es da wenig Innovation gibt. Aber es ist tatsächlich so, dass man eigentlich jeden Tag immer noch neue Ideen hat, was man denn mit diesen Antikörpern machen kann! Antikörper sind ganz unterschiedlich einsetzbar. Also zum Beispiel in der Krebstherapie können Sie direkt die Krebszellen attackieren. Auch für Infektionen oder auch Erkrankungen am Auge sind sie nutzbar.

Christiane: Inzwischen gibt es viele weitere Funktionen, die wir gezielt mit Antikörpern beeinflussen können. So ist es beispielsweise möglich durch gezielte Veränderungen, die Fähigkeit andere Zellen zu zerstören, zu erhöhen. Solche glykomodifizierten Antikörper sind heutzutage im Einsatz weit verbreitet. Außerdem sind wir in der Lage Antikörper so zu produzieren, dass sie besonders lange im Körper verbleiben und damit mehrfach nacheinander ihre Aufgaben erfüllen können. Das ist die sogenannte Recycling Technologie. Antikörper sind sehr große Moleküle. Sie können daher die Blut-Hirn-Schranke kaum passieren. Inzwischen arbeiten wir an zusätzlichen Proteinen, die das trotzdem ermöglichen. Für Therapien, die im Gehirn ansetzen müssen, eröffnen sich damit völlig ungeahnte Möglichkeiten.

Christian: Und ein ganz neues Kapitel sind bispezifische Antikörper, die tatsächlich der Natur einen Schritt voraus sind. Sie können zwei verschiedene Targets binden, das gibt es in der Natur so nicht. Damit lassen sich komplett neue Wirkmechanismen realisieren. Beispielsweise können so die körpereigenen Abwehrzellen, T-Zellen, ganz direkt an Krebszellen gebunden werden. Dadurch werden die Krebszellen ausgelöscht.Tja, das ist der aktuelle Stand nach 25 Jahren. Und: Es gibt fast unbegrenzte Möglichkeiten für die Zukunft!

Wie viel Austausch braucht die Forschung?

Christiane: In der frühen Forschung und Entwicklung arbeiten wir sehr gerne in kleinen Teams und diese Zusammenarbeit ist auch wirklich sehr eng und intensiv. Generell steht bei Roche der Teamgedanke im Vordergrund, also Roche ist eine sehr stark von Projektteams getriebene Firma. Wir sind in einem Bereich, in dem wirklich die entsprechenden Projektteams ihre Projekte vorantreiben und man als Mitarbeiter recht viel dazu beitragen kann. Der Austausch läuft auf allen Ebenen, sowohl am Standort zwischen den Teams, als auch mit anderen Standorten.Ganz sicher eine Besonderheit von Roche ist, dass wir im Konzern drei voneinander unabhängige Forschungsorganisationen haben. Diese drei großen Organisationen arbeiten also parallel – jede mit ihren eigenen Ideen und Konzepten. Wir haben "pRED", also

Pharma Research and Early Development , “gRED”, Genentech Research and Early Development sowie Chugai . Wir tauschen uns natürlich untereinander aus. Und das ist eine sehr offene Kollaboration, was den Technologie-Austausch angeht. Innerhalb von Roche, tauschen wir uns aus, weil wir dann zusammen einfach auch wesentlich erfolgreicher sein können.

Warum arbeitest Du in der Forschung in der pharmazeutischen Industrie?

Christiane: Das große Ziel ist natürlich schon, selbst einmal ein Arzneimittel zu entwickeln, das Patienten hilft. Das wäre dann quasi der „Sechser im Lotto“, denn die allermeisten Entwicklungsprojekte scheitern an irgendeiner Stelle. In unserem Bereich, beim Antikörper-Design, haben wir direkten Einfluss auf die Art und Weise wie und wo das Arzneimittel tatsächlich im Körper wirkt. Man hat bei aller abstrakter Theorie am Anfang deswegen auch immer dieses Ziel im Hinterkopf.

Christian: Ein guter Forscher in der Industrie hat auf der einen Seite wirklich einen guten Überblick über das eigene Forschungsfeld. In unserem Fall sind das Themen wie Antikörper Engineering, Krebs und Immuntherapie. Und gleichzeitig behalten wir eben auch immer die Anwendung beim Patienten im Blick. Gerade was Antikörper betrifft, haben wir bei Roche traditionell ein sehr breites Portfolio. Inzwischen haben wir ganz unterschiedliche Moleküle mit einem wirklich breiten Einsatzspektrum entwickelt. Für uns als Forscher ist das interessant und abwechslungsreich, weil es dabei um ganz unterschiedliche Krankheitsbereiche und ganz unterschiedliche Therapieansätze geht.

Christiane: Wir arbeiten bei Roche mit ganz vielen Leuten in unterschiedlichen Teams zusammen, die Medikamente entwickeln. Und das sind ganz verschiedene Persönlichkeiten, jeder bringt seine Qualitäten ein.

Christian: Dieser Team-Gedanke ist eben sehr wichtig. Denn es geht nicht darum, wer jetzt persönlich in ‘Nature’ oder ‘Science’ publiziert, sondern wie wir zusammen unsere Medikamente weiterentwickeln. Das tun wir auch zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen von ganz anderen Standorten wie beispielsweise München und Basel. Ein Medikament zu entwickeln ist wirklich komplex, das können wir nur gemeinsam als Team schaffen.

Christiane: Das macht die Arbeit natürlich extrem spannend. Da macht es wirklich Spaß, an der Spitze Wissenschaft mitzuarbeiten!

Was motiviert Dich ganz persönlich?

Christiane: Natürlich ist es das was Langfristiges, also natürlich sage ich nicht jeden Tag auf Arbeit: Pah, heute entwickle ich ein Medikament! Sondern was natürlich auch extrem motiviert, ist, dass das ein sehr schönes Miteinander ist. Und natürlich: wenn alle diese Vision haben, dann bewegt sich auch was, dann bringt jeder seine Energie mit und dann geht was voran. Und das spürt man natürlich auch - diesen Willen, etwas für Patienten zu entwickeln.

Christian: Als Forscher motiviert mich wirklich die Möglichkeit zu haben, Medikamente für Patienten und Patientinnen zu entwickeln. Und ich habe auch da jetzt gerade ein Medikament mitentwickelt, was tatsächlich mittlerweile mein Vater verwendet. Und das ist natürlich dann schon auch ein tolles Erlebnis, wenn man wirklich seinen eigenen Familienmitgliedern helfen kann, mit einem Medikament!

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