Am Donnerstag, den 5.10.23 organisiert Roche ein Symposium auf dem Deutschen Kongress für Versorgungsforschung (DKVF) in der Urania Berlin zum Thema: “Datennutzung zum Selbstzweck oder zum Nutzen von Patient:innen?”. Der Impulsvortrag einer Multiple Sklerose Patientin und die anschließende Paneldiskussion mit diversen Akteur:innen des Gesundheitswesens diskutieren die optimierte Nutzung von Gesundheitsdaten für eine Verbesserung der Patient:innenversorgung.

Das deutsche Gesundheitswesen beruht noch immer auf rechtlichen Rahmenbedingungen und zum Teil eingefahrenen Versorgungsstrukturen, die schnellere Fortschritte in medizinischem Wissen sowie Technologie nicht abbilden. Doch wie lässt sich eine bessere, effizientere und vor allem gesellschaftlich nachhaltige Gesundheitsversorgung umsetzen? Ein neuer Ansatz muss her, um hier den Durchbruch zu schaffen: Was kann Digitalisierung bewerkstelligen? Welche Hürden und Herausforderungen sind zu meistern? Welchen vermeidbaren Preis zahlen wir als Gesellschaft bei einem Scheitern? Deutschland könnte sich im Kontext des europäischen Gesundheitsdatenraums an den Erfolgen seiner Nachbarländer orientieren und deren Erkenntnisse gewinnbringend einsetzen

Die große Vision einer personalisierten und patient:innenzentrierten Gesundheitsversorgung in einem lernenden, auf der bestmöglichen Datengrundlage basierenden, wissensgetriebenen Gesundheitssystem scheint in greifbarer Näher. Die Aussicht, anhand von genomischen und anderen umfangreichen Gesundheitsinformationen individuelle maßgeschneiderte Diagnose- und Therapiepfade in der Versorgung für einzelne Patient:innen zu entwickeln, ist real! Durch diese sogenannte Präzisionsmedizin können individuelle Behandlungsoptionen schneller identifiziert, Fehlbehandlungen vermindert und vulnerable Bevölkerungsgruppen effektiver versorgt werden, ohne jedoch die menschliche Fürsorge und medizinische Entscheidungsfindung zu ersetzen.

Gleichzeitig wird das rasant wachsende medizinische Wissen von großen technologischen Fortschritten begleitet, die in den letzten Jahren neue bahnbrechende Schlüsselanwendungen im Bereich künstlicher Intelligenz, Big Data-Analysen und den Menschen überlegenen Bildkennungsmethoden, etwa im Bereich Diagnostik, zu Tage gefördert haben. Eine immer globaler agierende Gesundheitscommunity von Forscher:innen, Entwickler:innen, privaten und öffentlichen Akteur:innen beschleunigt all diese Entwicklungen, die es gemein haben, dass dabei größere Datenmengen von immer mehr Datenbereitstellern erfasst, integriert und verarbeitet werden müssen. Die umfassende Nutzung von Gesundheitsdaten wird so zu einer zwingend notwendigen Voraussetzung für das Erreichen der heißungsvollen Vision.

Dem gegenüber stehen allerdings Rahmenbedingungen, die den Herausforderungen dieser Entwicklungen offenkundig nicht gewachsen zu sein scheinen. Zu den vielen rechtlichen ungeklärten Fragen, etwa rund um Haftungsfragen beim Einsatz von künstlicher Intelligenz oder wie beispielsweise genomische Daten für Forschungsfragen ausreichend anonymisiert werden können, kommen weitere Innovationsbremsen hinzu, welche die umfassende Nutzung von Gesundheitsdaten und letztendlich den Fortschritt insgesamt stark hemmen:

  • Mangelnde Interoperabilität auf allen Ebenen der Vernetzung: Technisch (Anbindung sowie Vernetzung von Systemen und Schnittstellen), syntaktisch (einheitliche Austauschformate und Datengrammatiken), semantisch (übereinstimmende und abgestimmte Datenmodelle und Kodierungen) und in der Governance der Strukturen, die diese Ebenen pflegen und entwickeln

  • Heterogene Auslegung der verschiedenen Datenschutzregelungen mit zum Teil nicht aufeinander abgestimmten Wirkungsmechanismen, auf den unterschiedlichen Ebenen (Europa, Bund, Länder, Sektoren, Trägerschaften…), die zu Verunsicherungen beim “Handling” von Gesundheitsdaten führen und oftmals umfangreiche Rechtsgutachten benötigen (wie etwa bei geographischen übergreifenden Datenprojekte)

  • Zu stark segmentierte und fragmentierte Systemlandschaft bestehend aus zu vielen Insel- und lokalen Modelllösungen, welche nicht gemeinschaftlich konzipiert oder geführt werden und die Gesamtherausforderung der Abstimmung und Vernetzung stets vergrößern

  • Schwierige öffentliche Debatten zwischen allen relevanten Akteuren, die eher von Schuldzuweisung und Partikularinteressen, statt von einer durch Kompromissbereitschaft geförderten gemeinsamen Vorgehensweise geprägt sind. Die für das Gesundheitssystem so wertvolle Zusammenarbeit zwischen öffentlichen, politischen und privaten Vertreter:innen gerät ins Stocken.

So kommt es, dass den großen Chancen auf dem Weg zur Vision, diese sehr herausfordernden Hürden im Wege stehen. Die Menge der ungenutzten Chancen und letztendlich auch ungenutzten Gesundheits- und Versorgungsdaten wächst stetig zu einer Bugwelle heran, welche die Gefahr birgt, die eigentliche Vision aus den Augen zu verlieren. Dies schafft ein Spannungsfeld und führt dazu, dass die deutsche Gesellschaft vor den wachsenden Anforderungen zum Teil wie erstarrt wirkt und auch den Anschluss an internationale Entwicklungen zusehends verliert. Auch hierdurch wird eine Weiterentwicklung der Nutzung und Verknüpfung von Gesundheits- und Versorgungsdaten und somit eine Verbesserung der Patient:innenversorgungen deutlich erschwert.

Die Bugwelle hat ihren Preis! Welche Ausmaße sie annehmen kann, wurde in der extremen Belastungsprobe der zurückliegenden Corona-Pandemie deutlich: Es wurde offenkundig, dass Länder, die in der Lage waren, auf umfassende Gesundheitsdaten zurück zugreifen und sie zu nutzen, besser gerüstet waren, um die Krise zu bewältigen. So erhielt Deutschland deutlich später als Israel Zugang zu Impfstoffen, da die von dort direkt bereitgestellten Gesundheitsdaten effektiv zur Entwicklung und Erforschung dieser Vakzine beigetragen haben. Es ist schwer genau zu beziffern, aber real, dass dies potenziell vermeidbare Verluste an Menschenleben und schweren Krankheitsverläufen als Folge hatte. Daten können tatsächlich Leben retten! Die existierenden Daten nicht zu nutzen, führte sicherlich auch zu einer verlängerten Pandemiedauer mit erheblichen wirtschaftlichen Folgekosten, hohen Belastungen der sozialen Systeme und Nachteile für den Wirtschaftsstandort Deutschland, die am Ende des Tages von der Gesamtgesellschaft getragen werden müssen.

Was in der Corona-Pandemie im Schnelldurchgang schmerzhaft deutlich wurde, gilt für das Gesundheitssystem kontinuierlich: Gemeinsames Handeln und die umfassende Nutzung und Integration von Gesundheitsdaten sind entscheidend, um eine bestmögliche, resiliente, effiziente Gesundheitsversorgung zu ermöglichen und letztendlich auch zur Stärkung unserer Gesellschaften und Gesundheitssysteme für eine sicherere Zukunft beizutragen.

Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, um die Herausforderungen zu meistern, in dem sie an den unterschiedlichen Hürden gleichzeitig ansetzt und einen Rahmen schafft, indem die Möglichkeiten ihre vollen Potentiale entfalten können:

  • Gemeinsame Strategie: Die Implementierung der Digitalisierung erfordert eine abgestimmte, einheitliche Vorgehensweise. Hier müssen gemeinsame Prinzipien und Zielsetzungen formuliert werden, die in der Implementierung den Kompass darstellen, um Handlungsentscheidungen nachvollziehbar zu machen.

  • Kollaborative Implementierung: Gelebte umfassende Kollaboration führt zu mehr Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteur:innen und verbessert den Informationsfluss erheblich.

  • Förderliche Rahmenbedingungen: Um mit dem digitalen Fortschritt mitzuhalten, werden agilere Rahmenbedingungen geschaffen, die es ermöglichen, auf neue Erkenntnisse und Entwicklungen im Gesundheitswesen schneller reagieren zu können. Dadurch entstehen politische Gestaltungsmöglichkeiten, die sicherstellen, dass das System flexibel bleibt und den sich ständig ändernden Gesundheitsbedürfnissen gerecht wird.

  • Daten- und evidenzgetriebene Prozesse: Die Nutzung von Gesundheits- und Versorgungsdaten zur Unterstützung von Entscheidungsprozessen ermöglicht eine personalisierte Patient:innenversorgung, die auf Evidenz basiert. Dies führt zu einer höheren Qualität der Gesundheitsversorgung und damit besseren Ergebnissen für die Patient:innen.

  • Datenverfügbarkeit: Durch die nahtlose Integration und Vernetzung unterschiedlicher Systeme und Anbieter wird eine reibungslose Kommunikation und ein effizienter Datenaustausch im Gesundheitswesen gewährleistet. Das erleichtert Ärzt:innen, Forscher:innen und Patient:innen den Zugang zu fundierten Informationen und medizinischem Wissen. So können bessere Entscheidungen getroffen und ein tieferes Verständnis für Gesundheitsfragen entwickelt werden.

  • Komplexität managen: Um der stets wachsenden Zahl an Wissens- und Datenmenge und gleichzeitig auch der rasant steigende Anzahl an Akteur:innen (Individuen und technische Teilnehmer:innen) im Gesundheitswesen gerecht zu werden, braucht es Technologien, die mit der zunehmenden Komplexität umgehen können.

  • Digitalisierte Nachhaltigkeit: Automatisierung zum Teil langwieriger Prozesse und Abläufe reduziert menschliche Fehler und steigert die Effizienz erheblich. Dies ermöglicht, Arbeitsbelastungen zu verringern und Ressourcen effektiver einzusetzen. Gleichzeitig erlauben digitale Systeme schneller auf neue Gegebenheiten zu reagieren und bringen somit eine Investitionssicherheit mit sich.

  • (Selbst-)lernendes Gesundheitssystem: Dieses nutzt kontinuierlich Daten und Erkenntnisse, um seine Leistung zu optimieren. Es passt sich neuen Entwicklungen sowie bewährten Praktiken an, wodurch das Gesundheitswesen kontinuierlich verbessert wird.

Um den Preis nicht zu handeln schrittweise zu minimieren, sind gemeinsame Dialoge zu all diesen Ebenen entscheidend, um von Kontroversen hin zu konstruktiver Zusammenarbeit zu gelangen. Dies kann nur gelingen, wenn das Mindset von der Überzeugung geprägt ist, dass die große Vision nur gemeinsam erreicht werden kann: durch die Zusammenarbeit aller Akteur:innen aus dem öffentlichen und privaten Raum. So wird es auch leichter gelingen, die Gesellschaft von der notwendigen Veränderung zu überzeugen und Anpassungen in den Rahmenbedingungen politisch umzusetzen. Andere Länder zeigen beispielsweise, dass eine ausgewogene Balance zwischen Datenschutz und Datennutzung möglich ist und eines der größten Fortschrittsbremsen somit behoben werden kann. Denn letztlich geht es nicht darum, menschliche Kompetenz und Intelligenz zu ersetzen.

Gemeinsam ist es möglich, den Weg hin zu einer patient:innenzentrierten und datengetriebenen Zukunft zu bereiten. Die Herausforderungen, denen das Gesundheitswesen gegenübersteht, lassen sich durch kooperative Ansätze bewältigen, um eine innovative und patient:innenzentrierte Zukunft zu gestalten. Die Tatsache, dass Daten Leben retten können, sollte nachdrücklich daran erinnern, dass der Preis nicht zu handeln vermieden werden sollte.

Die erfolgreiche Implementierung der Digitalisierung im Gesundheitswesen erfordert einen reibungslosen Umgang von Gesundheits- und Versorgungsdaten. Es ist wichtig Daten neu zu interpretieren als eine Art erneuerbare Energiequelle, welche die übergeordneten Anwendungen mit Strom beliefern. Diese Quelle entsteht in einem föderierten Gesundheitssystem und sollte daher allen unter Einbehaltung der persönlichen Schutzrechte zur Verfügung stehen. Dies umfasst sowohl die Primärnutzung, wie beispielsweise die unmittelbare Verwendung zur Diagnose, Behandlung und Versorgung von Patient:innen, als auch die Sekundärnutzung, wie die Verwendung für Forschung und Entwicklung, um Innovationen in die Versorgung bringen zu können. Dabei ist eine hohe Qualität der Daten entscheidend, da sie direkt die Validität von Forschungsergebnissen beeinflusst. Zusätzlich ist die umfassende Nutzung und Integration von Gesundheitsdaten von großer Bedeutung. Dies schließt die Vernetzung und Zusammenführung verschiedener Datensätze ein, um ein umfassenderes Verständnis von Gesundheitszuständen und -trends zu ermöglichen.

Eine nachhaltige Finanzierung für diese digitalen Gesundheitsinitiativen ist unerlässlich. Obwohl anfangs Kosten anfallen, lohnt sich diese Investition langfristig für alle Akteur:innen. Das Versäumnis der vergangenen Jahre, in digitale Gesundheitslösungen zu investieren, kann teurer sein, da ineffiziente Prozesse und suboptimale Patient:innenversorgung direkt zu höheren Gesundheitsausgaben führen. Nur eine nachhaltige Finanzierung stellt sicher, dass die Vorteile der Digitalisierung im Gesundheitswesen langfristig realisiert werden können, sowohl in Bezug auf die Gesundheit der Bevölkerung als auch auf die Effizienz des Gesundheitssystems.

Es ist entscheidend, dass Daten nicht mehr ausschließlich für administrative Zwecke oder rein finanzielle Belange genutzt werden, sondern dass sie endlich einen positiven und nachhaltigen Einfluss auf wichtige Entscheidungen im Gesundheitssystem haben. Daten sollen eingesetzt werden, um die Gesundheitsversorgung effizienter, individualisierter und wirkungsvoller zu gestalten. Durch das Nutzen von allen verfügbaren Daten, um evidenzbasierte medizinische Entscheidungen zu fördern und die Qualität der Patient:innenversorgung zu steigern, werden letztendlich Menschenleben gerettet und die Gesundheit der Bevölkerung verbessert.

Lena Beilschmidt
Medical Manager

Anja Thelen
StartUp 360° Trainee

Maro Bader
Government Relations Specialist 

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