Dr. Martina Hartmann, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Mannheim, über die steigende Zahl an Menschen mit Diabetes, was XXL-Verpackungen damit zu tun haben und warum die Diagnose auch eine Chance ist.
Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 69 Prozent der Deutschen mindestens einen Menschen mit Diabetes kennen. Wie präsent ist das Thema in Ihrer Praxis?
Von meinen Patient:innen ab 18 Jahren sind etwa 11 Prozent von Typ-2-Diabetes betroffen. Da wir großen Wert auf eine umfassende Aufklärung der Betroffenen legen und auch die Angehörigen mit einbeziehen, ist das Thema bei uns in der Praxis in der Tat sehr präsent. Es hat sich einfach gezeigt, dass eine gute Schulung und ein unterstützendes Umfeld entscheidende Kriterien für eine erfolgreiche Therapie sind. Denn meistens geht es darum, den Lebensstil zu ändern, in dem man sich bewusster ernährt und mehr bewegt. Dafür braucht es Wissen, Motivation und Teamwork – gerade, wenn es um Themen wie Einkaufen, Kochen und gemeinsame Aktivitäten geht.
Warum dauert es häufig so lange, bis ein Diabetes diagnostiziert wird?
Ein Typ-2-Diabetes kann sich über Jahre unbemerkt entwickeln, weil es oft sehr lange dauert, bis typische Symptome auftreten. Dazu gehören vermehrter Durst, häufiges Wasserlassen, Müdigkeit, Antriebslosigkeit und Schwindel bis hin zum Koma. Außerdem gehen viele Menschen davon aus, dass Diabetes eine Alterskrankheit ist – obwohl immer mehr junge Menschen betroffen sind. Deshalb ist der routinemäßige Check-up ab dem 35. Lebensjahr so wichtig, bei dem der Nüchternblutzucker und der Zuckergehalt im Urin bestimmt werden. Diese Tests geben wertvolle Hinweise, ob ein Diabetes-Risiko vorliegt. So ein Check ist auch schon zwischen 18 und 35 Jahren möglich. Wir alle sind hier gefragt, die Vorsorge zum festen Bestandteil unseres Alltags zu machen. Denn je früher ein Diabetes erkannt wird, desto besser lässt er sich behandeln.
Warum werden Menschen mit Typ-2-Diabetes immer jünger?
Unser moderner Lebensstil spielt hier eine entscheidende Rolle. Kinder und auch Erwachsene verlernen es zunehmend, sich zu bewegen, und verbringen immer mehr Zeit vor dem Rechner oder dem Fernseher. Diese Entwicklung hat sich während der Covid-Pandemie noch verstärkt. Dazu kommt eine Ernährung, die von einer hohen Zufuhr an Fett und Zucker geprägt ist. Lebensmittel in XXL-Verpackungen zu vermeintlich günstigeren Preisen verleiten dazu, mehr zu essen und sich an immer größere Portionen zu gewöhnen. Kommt dann noch eine erbliche Veranlagung dazu, kann dies zu einer sogenannten Insulinresistenz führen. Das bedeutet, dass die Körperzellen nicht mehr ausreichend auf das Hormon Insulin reagieren, das den Zucker aus dem Blut in die Zellen transportiert. Die Folgen: ein dauerhaft erhöhter Blutzucker, der typisch für Typ-2-Diabetes ist.
Was soll ich tun, wenn ich den Verdacht habe, dass ich betroffen bin?
Wer sich erst einmal selbst ein Bild machen möchte, kann das mit einem Teststreifen aus der Apotheke tun, der den Zuckergehalt im Urin anzeigt. Darüber hinaus gibt auch der Nüchternblutzucker, den man sich in den meisten Apotheken messen lassen kann, einen ersten Hinweis. Generell aber gilt: Wenn man den Verdacht auf Diabetes hat, sollte man sich immer an die Hausärztin bzw. den Hausarzt wenden.
Was bedeutet die Diagnose Typ-2-Diabetes für mein Leben?
Die Diagnose bedeutet die Chance, mit einer Veränderung meines Lebensstils meine Blutzuckerwerte wieder in den Griff zu bekommen. Dazu zählt selbst zu kochen, eine ballaststoffreiche Ernährung, weniger Zucker und Fett, regelmäßige Bewegung sowie die Reduzierung des Körpergewichts. Wenn das nicht gelingt, gibt es blutzuckersenkende Medikamente in Tablettenform. Diese helfen den Zellen, den Zucker aus dem Blut besser aufzunehmen. Manchmal ist aber auch eine zusätzliche Insulingabe notwendig, wenn Tabletten den Blutzucker nicht ausreichend senken. Die gute Nachricht: Ich habe viele Menschen mit Typ-2-Diabetes in meiner Praxis, die durch eine Ernährungsumstellung und regelmäßigen Sport ihren Diabetes ganz ohne Medikamente überwunden haben. Das freut dann nicht nur die Patient:innen, sondern auch mein Team und mich.
Foto: © Christoph Ates
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