Für die Zulassung eines neuen Arzneimittels und für die Erweiterung der Indikationen eines bereits zugelassenen Arzneimittels durch die europäische oder deutsche Zulassungsbehörde ist der klinische Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erforderlich. Dazu durchläuft der Arzneistoff die verschiedenen Phasen der klinischen Prüfung. Der gesetzliche Rahmen für die Arzneimittelprüfung ist im Arzneimittelgesetz (AMG) von 1976, zuletzt geändert durch die 15. Novelle von 2009, festgelegt. Hinzu kommt eine Vielzahl europäischer Leitlinien, die im Rahmen des Zulassungsverfahrens eines Arzneimittels zu beachten sind.
Die rechtlichen Vorgaben für die Durchführung einer klinischen Prüfung finden sich in den §§ 40 bis 42b des Arzneimittelgesetzes (AMG). Die so genannte GCP-Verordnung regelt im Detail die Genehmigung und Durchführung klinischen Studien mit Arzneimitteln beim Menschen. Die wesentlichen ethischen Anforderungen an eine klinische Prüfung sind in der Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes niedergelegt.
Darüber hinaus sind die Vorgaben zu beachten, die in Band 10 der europäischen Rechtsvorschriften für Arzneimittel (Eudralex) „Clinical trials“ zusammengefasst sind. Band 10 beinhaltet auch die Leitlinien der International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH). Die ICH bündelt die Aktivitäten der europäischen, amerikanischen und japanischen Zulassungsbehörden. Mit den ICH-Leitlinien wird eine bessere Harmonisierung in Interpretation und Anwendung technischer Richtlinien und Anforderungen an die Zulassung ermöglicht, um international abweichende Zulassungsunterlagen und Bewertungen bei den verschiedenen Zulassungsbehörden zu vermeiden.
Voraussetzung für eine Arzneimittelprüfung am Menschen - eine klinische Prüfung - ist, dass Ergebnisse aus pharmakologisch-toxikologischen Untersuchungen nach den Richtlinien der Good Laboratory Practice (GLP) vorliegen müssen. Die klinische Prüfung eines Arzneimittels wird üblicherweise in vier Phasen unterteilt (Phase I bis IV).
In Phase-I-Studien wird ein Arzneistoff erstmals am Menschen angewendet. In der Regel handelt es sich um junge gesunde Erwachsene, die sich freiwillig als Probanden zur Verfügung stellen. Nur in Ausnahmefällen werden solche Studien aus ethischen Gründen bereits bei Patienten durchgeführt, beispielsweise bei der Prüfung von Zytostatika.
In die Studien werden zwischen 20 und 80 gesunde Probanden eingeschlossen. Sie werden meist offen und im Cross-over-Design durchgeführt. Untersucht wird zum Beispiel, ob die im Tierexperiment beobachteten Wirkungen auch beim Menschen auftreten (Proof of Concept = PoC) und ob weitere Effekte zu beobachten sind. Unerwünschte Wirkungen werden sorgfältig analysiert, um das Risiko der neuen Substanz besser einschätzen zu können. Ferner werden pharmakokinetische Parameter analysiert und erste Daten zur Dosis-Wirkungs-Beziehung erhoben. Rechtfertigen die Ergebnisse der Phase-I-Studien eine weitere Untersuchung der Substanz, schließt sich die Phase II an.
In Phase-II-Studien wird ein neuer Arzneistoff (außer bei der Prüfung von Zytostatika) erstmals bei Patienten eingesetzt. In die Studien werden in der Regel zwischen 100 bis 800 stationäre Patienten mit der entsprechenden Erkrankung aufgenommen. Ziele sind eine erste Prüfung von Wirksamkeit und Verträglichkeit und die Ermittlung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen mit Optimierung der Dosierung sowie die Erhebung pharmakokinetischer Parameter am Patienten. Der neue Arzneistoff wird in der Regel offen und nicht kontrolliert oder randomisiert-kontrolliert im Vergleich zu Plazebo oder einer Standardmedikation untersucht. Dabei soll eine vergleichbare oder überlegene Wirksamkeit nachgewiesen werden. In der Onkologie sind Phase-II-Studien oft auch einarmig. Bei entsprechend positiven Befunden in Phase-II-Studien schließt sich die Phase III der klinischen Prüfung an.
Ziel der Phase III der klinischen Prüfung ist der biometrisch abgesicherte Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der neuen Substanz an mehreren 100 bis mehreren 1000 Patienten. Meist werden diese Studien in mehreren Zentren (multizentrisch) und in mehreren Ländern bei stationären und ambulanten Patienten durchgeführt. Diese Studien müssen kontrolliert, also im Vergleich zu Plazebo oder zu einer Standardtherapie durchgeführt werden. Als Goldstandard gilt die randomisierte, kontrollierte doppelblinde klinische Studie. In Ausnahmefällen sind auch offene Studien möglich.
Im Rahmen des Prüfplans müssen Kriterien für den Studienabbruch im Einzelfall und für die ganze Studie definiert sein. Mit vorher festgelegten Zwischenauswertungen wird sicher gestellt, dass deutliche Unterschiede in Wirksamkeit und Verträglichkeit rechtzeitig erkannt und geeignete Maßnahmen (z. B. ein Studienabbruch) ergriffen werden können. Üblicherweise sind mindestens zwei voneinander unabhängige kontrollierte klinische Studien der Phase III für die Zulassung eines Arzneimittels erforderlich.
Sind die Ergebnisse der Phase-III-Studien positiv, kann der pharmazeutische Unternehmer bei der deutschen oder europäischen Zulassungsbehörde einen Antrag auf Zulassung des Arzneimittels stellen. Phase-III-Studien werden häufig auch als Zulassungsstudien bezeichnet, was nicht korrekt ist, weil für den Antrag auf Zulassung die Ergebnisse aller präklinischen und klinischen Prüfungen der Phasen I bis III bei den Zulassungsbehörden einzureichen sind. Besser ist es, von zulassungsrelevanten Studien zu sprechen. Der häufig zu lesende Begriff Pivotal-Studie ist eine nur teilweise übersetzte Form des englischen Begriffs pivotal study bzw. pivotal trial = Schlüsselstudie.
Auch nach der Zulassung und Markteinführung eines Arzneimittels ist die Entwicklung nicht abgeschlossen. In Phase-IV-Studien werden umfangreiche Informationen zur Sicherheit und Verträglichkeit, zur Wirksamkeit und auch zu ökonomischen Fragestellungen gesammelt, und zwar in der Regel unter den Bedingungen der täglichen Praxis, die sich in der Regel deutlich von den Bedingungen der Phase-II- und -III-Studien unterscheiden.
Diese nicht-interventionellen Studien (NIS) folgen meist einem so genannten Beobachtungsplan, in dem die zu beobachtende Fallzahl, die Auswertungsmethoden und die Beobachtungsfragen festgelegt sind. Es gibt keine Vorgaben für die Behandlung der Patienten im Rahmen einer NIS, sie werden unter den Bedingungen der normalen Praxis behandelt. Dies ist wichtig, denn viele Faktoren, die in der täglichen Praxis eine Rolle spielen, wie Begleiterkrankungen, gleichzeitige Einnahme weiterer Arzneimittel oder Adhärenz können in klinischen Studien aufgrund enger Auswahlkriterien nicht berücksichtigt werden können.
Zu den NIS gehören z. B. Anwendungsbeobachtungen (AWB), Kohortenstudien, Fall-Kontroll-Studien, Register-Studien oder Post-Authorisation-Safety-Studien (PASS).
Phase-IV-Studien in Form von Anwendungsbeobachtungen sind im AMG ausdrücklich vorgesehen, um beispielsweise bislang nicht entdeckte Risiken erkennen zu können, denn die Rate schwerer unerwünschter Wirkungen liegt oft bei 1 : 10.000 oder 1 : 100.000 behandelten Patienten – dies zeigt die Bedeutung der so genannten Postmarketing Surveillance.
Neben Sicherheitsaspekten können in AWBs auch Parameter wie Lebensqualität, Behandlungsverlauf, Anwendungsverhalten oder Kosten unter Alltagsbedingungen untersucht werden. Anwendungsbeobachtungen sind jedoch in der Aussagekraft häufig eingeschränkt, weil eine Kontrollgruppe fehlt. Zudem besteht die Gefahr, dass sie als Marketinginstrument missbraucht werden, um das neue Arzneimittel beim Arzt bekannt zu machen.
Es gibt verschiedene Formen der klinischen Prüfung, zum Beispiel
Bei interventionellen Studien wird ausgewählten Patienten gezielt ein Arzneimittel zu Prüfungszwecken gegeben, die Behandlungsstrategie ist im Prüfplan festgelegt. Bei nicht interventionellen Studien (NIS) werden in der Regel zugelassene Arzneimittel im Rahmen einer Routinebehandlung verabreicht. Es gibt keinen vorab festgelegten Prüfplan.
Bei prospektiven Studien werden die zu prüfenden Parameter zu Beginn der Studie festgelegt und bis zu einem definierten Studienende untersucht. Bei retrospektiven Untersuchungen werden Daten nachträglich aus Behandlungsunterlagen oder durch Nachuntersuchungen gewonnen und daraus Rückschlüsse auf erwünschte und/oder unerwünschte Wirkungen gezogen. Die Aussagekraft prospektiver Studien ist größer als die der retrospektiven Studien. Die Ergebnisse sind bei retrospektiven Studien allerdings in der Regel rascher verfügbar.
In kontrollierten Studien werden Wirksamkeit und Verträglichkeit des Prüfpräparats direkt mit einem Plazebo oder einer anderen Medikation verglichen. In nicht kontrollierten Studien, z. B. in Anwendungsbeobachtungen, erhalten alle Patienten dasselbe Prüfpräparat. Die Aussagekraft der kontrollierten Studien ist sehr viel höher als die der nicht kontrollierten Studien.
Bei kontrollierten Studien sollen durch eine Zufallsverteilung (Randomisierung) auf Verum- und Kontrollgruppe Fehler durch bewusste oder unbewusste Auswahl von Patienten für eine der Gruppen vermieden werden. Dies kann mit verschiedenen Randomisierungsverfahren erreicht werden. Bei nicht randomisierten Studien besteht das Risiko, dass die Gruppen ungleich verteilt sind, beispielsweise könnten in eine Gruppe mehr ältere oder schwerer erkrankte Patienten eingeschlossen werden als in die andere Gruppe, hierdurch wird die Aussagekraft der Studie eingeschränkt.
Bei offenen Studien wissen Arzt und Patient, ob der Patient Verum oder Vergleichspräparat erhält. Bei einfachblinden Studien weiß nur der Arzt, welche Medikation der Patient erhält und bei doppelblinden Studien wissen weder Arzt noch Patient, welches Präparat eingesetzt wird. Die doppelblinde Studie liefert die zuverlässigsten und objektivsten Aussagen über erwünschte und unerwünschte Wirkungen eines Arzneimittels. Es gibt jedoch Arzneiformen oder auch unerwünschte Wirkungen die eine korrekte Verblindung nicht zulassen, zum Beispiel eine starke Hautrötung bei Gabe von Niacinpräparaten.
So genannte explorative Studien (Phase II) dienen in erster Linie der Hypothesengewinnung, konfirmatorische Studien (Phase III) der Hypothesensicherung.
Bei den Endpunkten, also den Zielparametern klinischer Studien wird zwischen so genannten harten und weichen Kriterien unterschieden. Der härteste Endpunkt ist der Tod, weitere harte Endpunkte sind das Wiederauftreten einer Erkrankung (Rezidivrate) oder die Remission (der komplette Rückgang aller Erkrankungszeichen).
Als primärer Endpunkt wird in klinischen Studien das erstrangige Ziel der Studie bezeichnet. So kann beispielsweise die Überlebensrate oder die Häufigkeit eines Rezidivs als primärer Endpunkt definiert sein.
Die so genannten sekundären Endpunkte sind die zweitrangigen Ziele der Studie. Eine Studie, die nur in den sekundären Endpunkten einen Wirkungsnachweis erbracht hat, hat ihr Ziel nicht erreicht, denn das Erreichen eines sekundären Endpunktes gilt nicht als konfirmatorisch, sondern nur als Hypothesen-generierend.
Das Gesamtüberleben (Overall survival, OS) gilt in klinischen Studien als härtest möglicher Endpunkt und damit als Goldstandard unter den Wirksamkeits-Endpunkten. Die Analyse des Gesamtüberlebens erfordert jedoch zum Teil lange Nachbeobachtungszeiten, die die Entwicklung neuer Substanzen verzögern können. Hinzu kommt, dass insbesondere bei der Untersuchung von Substanzen in der Erstlinientherapie von Krebserkrankungen die Patienten später mit weiteren Arzneimitteln behandelt werden, was die Beurteilung des Effekts des zunächst eingesetzten Arzneistoffs auf das Gesamtüberleben erschwert. Deshalb werden zunehmend andere Endpunkte gewählt, wie
• progressionsfreies Überleben (Progression free survival – PFS),
• krankheitsfreies Überleben (Disease free survival (DFS),
• Ansprechrate (Response rate RR),
• klinischer Nutzen,
• Toxizität oder
• vom Patienten berichteter Nutzen.
Beim Gesamtüberleben (OS) handelt es sich zwar um eine valide robuste klinische Messgröße, die auch mit dem vorrangigen Patientenwunsch korreliert. Andererseits muss es für den Arzt und für den Patienten im Verlauf der Erkrankung möglich sein, auf andere aktive Therapien zu wechseln. Dies wirkt sich auf das Gesamtüberleben und auch auf die Zeit bis zum Fortschreiten der Erkrankung aus, so dass der Effekt des zunächst untersuchten Arzneistoffs nur schwer eingeschätzt werden kann.
Das progressionsfreie Überleben ist ebenfalls eine valide, robuste klinische Messgröße. Ergebnisse zum PFS liegen rascher vor als zum OS und sie sind nicht beeinflusst durch Folgetherapien, vorausgesetzt die Therapie erfolgt bis zum Fortschreiten (Progression) der Erkrankung. Beim progressionsfreien Überleben als Endpunkt korreliert die Verbesserung der Symptomatik durch die Therapie in der Regel mit der Lebensqualität des Patienten.
Zunehmend akzeptieren auch die Zulassungsbehörden progressionsfreies Überleben und Ansprechrate als Endpunkte in zulassungsrelevanten klinischen Studien mit onkologischen Arzneimitteln.
Die Zulassungsbehörden verlangen das OS dann als primären Endpunkt, wenn das Verum voraussichtlich toxischer als das Vergleichspräparat ist, wenn keine anerkannten Therapien für die weitere Behandlung zur Verfügung stehen und wenn die Zeit von der Krankheitsprogression bis zum Tod voraussichtlich kurz ist. Wird ein anderer Endpunkt gewählt, muss dies begründet werden. Das PFS ist nach Ansicht der Zulassungsbehörden dann ein akzeptabler primärer Endpunkt, wenn weitere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, die eine Wirkung auf das OS haben können.
Das International Council of Medical Journal Editors (ICMJE) hat im Jahr 2004 beschlossen, nur noch solche Studien zu publizieren, die von Beginn an in einem öffentlichen Register erfasst worden sind. Hintergrund ist, dass damit gewährleistet werden soll, dass auch über Studien berichtet wird, die nicht zum erwarteten oder erwünschten Ergebnis geführt haben. [Autor: Dr. Susanne Heinzl]
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